Von Jörg Janssen, RPonline

Ein Ende des Ausnahmezustands und möglichst viel Normalität: Das erwarten Schüler, Lehrer und Eltern vom neuen Schuljahr, das am Mittwoch startet. Doch was bedeutet das konkret? Über Masken, Tests, Impfungen, digitales Lernen und Klassenfahrten haben sich am Goethe-Gymnasium Ralf Schreiber, Yasmine El Bouzaidi und Ralf Strümpel Gedanken gemacht.

RP: Yasmine, bist du geimpft?

Yasmine El Bouzaidi:  Ja, bin ich. Und ich bin sehr froh darüber.

RP: Warum?

Yasmine: Weil ich als ein Mensch, der mit Diabetes-Typ 1 leben muss, besonderen Risiken ausgesetzt bin. Und weil ich es grundsätzlich für gut halte, sich vor dem Corona-Virus zu schützen. Meine einzige engere Kontaktperson, die ich in der Hochphase der Pandemie regelmäßig getroffen habe, ist prompt an Covid erkrankt. Das hat mich hart getroffen. Ich möchte nicht dauernd in Angst leben. Außerdem können wir nicht zehn Jahre warten, bis vielleicht der letzte Zweifel an den Impfstoffen beseitigt ist.

RP: Denken die meisten so?

Yasmine: Viele schon. Aber natürlich nicht alle. Bekannte meiner Eltern sind Impfgegner und haben gefragt, warum ich mir das Teufelszeug spritzen lasse.

Ralf Strümpel: Auch Felix, mein Sohn, wird wohl eines der bald startenden Impfangebote an den Schulen annehmen. Allerdings weniger weil er Angst vor Covid hat.

RP: Warum dann?

Strümpel: Weil er sich wieder unbefangener bewegen möchte. Freunde sind in dem Alter wichtiger als alles andere. Deshalb freut er sich wie Bolle, dass es am Mittwoch wieder losgeht.

RP: Düsseldorf baut in einem ersten Schritt zehn Impfstationen in oder direkt neben Schulen auf. Wie groß ist der Druck, sich den Piecks abzuholen?

Ralf Schreiber: Ich bin gegen jede Form von Druck. Das Ganze ist eine höchstpersönliche Entscheidung und muss freiwillig bleiben. Aber so behutsam, wie die Stadt diese Kampagne plant, sehe ich keine Gefahr eines Gruppenzwangs. Die Stationen sind nicht in den laufenden Schulbetrieb integriert. Und das halte ich auch für geboten.

RP: Droht nicht trotzdem eine riskante Spaltung, wenn sich einer von den ungeimpft Gebliebenen infiziert und prompt die ganze Klasse in die Quarantäne muss.

Schreiber: Ganze Klassen werden ja eine absolute Ausnahme sein, das hat die Schulministerin am vergangenen Freitag noch einmal klar gestellt. Mein Thema als Schulleiter ist auch nicht, ob jemand geimpft ist oder nicht, sondern das alle gleich behandelt und zur Selbstverantwortung angeregt werden.

Yasmine: Es darf keiner dumm angemacht werden, weil er nicht geimpft ist. Und wenn er neben einem Vorerkrankten sitzt, muss man halt darüber reden, ob er sich vielleicht an einen Platz setzen könnte.

RP: Wie lange soll es noch Masken im Unterricht geben?

Strümpel: So kurz wie möglich. Erst wenn die Maskenpflicht am Sitzplatz fällt, kann man wieder von Normalität sprechen.

RP: Und was ist mit der Dynamik der Delta-Variante, den besonderen Risiken der Vorerkrankten und den weiterhin ungeimpften Schülern?

Strümpel: Wir werden mit Corona leben müssen, trotz hoher Impfquoten. Es wird Mutationen und Nachimpfungen geben. Und am Ende werden wir es ähnlich handhaben müssen wie die Grippe. Würden wir alle Risiken komplett ausschließen wollen, gäbe es auf Jahre hin keinen Unterricht mehr ohne Masken.

RP: Und das wäre schlimm?

Yasmine: Schon. Wir hatten im Sommer Situationen, wo nach drei Stunden die Köpfe fast auf der Tischplatte lagen vor lauter Müdigkeit und Konzentrationsschwäche. Ich bin vorerkrankt, aber auch ich möchte keine Maskenpflicht für die Ewigkeit.

Strümpel: Masken hemmen die mündliche Beteiligung und sie gehen zu Lasten der Konzentration – beides wirkt sich unmittelbar auf die Noten aus und muss deshalb geändert werden.

Schreiber: Zum Schuljahresbeginn macht es sicher Sinn, aber für immer kann ich es mir auch nicht vorstellen.

RP: Und die Testung zweimal pro Woche?

Schreiber: Sollte eine zeitlang weiterlaufen.

RP: Obwohl dem Aufwand nur sehr wenige tatsächlich positiv getestete Fälle gegenüber stehen?

Schreiber: Solange die Impfquote bei den Heranwachsenden noch im Aufbau ist, bietet es uns zusätzliche Sicherheit. Aber auch Testen ist kein Instrument für die Ewigkeit.

Strümpel: Es kostet Zeit und gehört nicht zu den eigentlichen Aufgaben der Lehrer. Es wird andere Konzepte geben müssen.

RP: Und die Luftfilter?

Schreiber: Sind zumindest für unsere Schule eher ein Randthema. Wir haben kaum Klassenräume, die nicht gut quergelüftet werden können. Und an eine flächendeckende Einführung für sämtliche Schulen und Räume im ganzen Land ist ja – auch aus finanziellen Gründen – nicht zu denken.

RP: Sie und ihre Kollegen fahren im Oktober auf Klassenfahrt. Zu zu den Zielen zählt unter anderem eine Jugendherberge im Eifel-Vorland, dort schlafen acht Schüler in einem Schlafsaal. Passt das zur Pandemie?

Schreiber: Ja, tut es. Selbstverständlich werden die Hygieneregeln beachtet und ist die Teilnahme – anders als früher üblich – ist freiwillig. Aber bislang haben wir noch keine Absagen. Wenn es die Lage im Herbst erlaubt, sollten wir das auf jeden Fall machen. Schüler treffen in dieser Pandemie die sozialen und emotionalen Defizite hart. Wir müssen auch hier einen großen Schritt in die Normalität wagen. Und wenn es tatsächlich zu einem Corona-Fall kommen sollte, müsste die betreffende Schlafsaal-Gruppe eben zurück nach Düsseldorf fahren (besser: werden Eltern und Gesundheitsamt informiert, um eine Entscheidung herbeizuführen).

Yasmine: Unsere Fahrt 2020 in der Einführungsstufe wurde abgesagt und der Ausflug an einen See konnte das beim besten Willen nicht ersetzen. Viele Schüler haben sich zurückgezogen, einige litten sogar unter depressiven Verstimmungen und brauchten psychologische Hilfe. Wir müssen wieder Gemeinschaft erleben, das muss wieder zu unserem Alltag werden und nicht das Lernen am PC im stillen Kämmerlein.

RP: Also keine Rückkehr mehr zu Wechsel- und Distanzmodellen?

Yasmine, Schreiber und Strümpel: Nein! Das muss eine absolute Ausnahme bleiben.

RP: War das Home-Schooling denn so schlimm?

Yasmine: Es war halt kein gleichwertiger Ersatz für den Unterricht in der Schule. Und es hing auch viel vom jeweiligen Lehrer ab. Einige waren sehr kreativ und haben uns motiviert, andere beließen es zunächst beim Abarbeiten von Aufgaben aus dem Lehrbuch.

Strümpel: Ein großes Problem war die Motivation. Schließlich stehen Bett und elektronische Spielgeräte nur zwei Meter vom Computer, über den man lernen soll, entfernt. Es war ein hartes Brot, einen 13-Jährigen immer wieder zum Lernen anzuhalten. Und das Ganze auch noch zu kontrollieren. Das hat es ab und zu auch mal gekracht.

Schreiber: Auf Dauer ist selbst das Wechselmodell keine ausreichende Alternative. Es ist aufwendig und frisst Zeit, die wir dringend für Motivierung, das fürs Vermitteln von LernStoff und für die soziale Entwicklung der Heranwachsenden brauchen.

RP: Werden Lücken bleiben?

Schreiber: Ich bin sehr optimistisch dass nicht. Das Ministerium sorgt für eine gute zusätzliche Anreize Ausstattung mit Geld und Projekten. Hinzu kommen besondere Ferienprogramme der Stadt D. Dieses Schuljahr wird ein riesiger Schritt in die Normalität sein.

Yasmine: Ich bin zuversichtlich, dass sich die Pandemie auf mein Abi in zwei Jahren nicht mehr negativ auswirkt. Ganz am Ende kommt es auch auf einen selber an. Programme und Projekte nehmen einem die Verantwortung für sich selbst nicht ab.

erschienen in: RPonline vom 16. August 2021
Foto: Andreas Bretz